Der Fall Henjes
Kollegen
Junger Mann mit künstlerischen Ambitionen antwortet auf eine Annonce für eine Artistenstelle. Die Partner verstehen sich nach dem Engagement nicht nur auf der Bühne. Als jedoch mehr als Sympathie erwartet wird, kommt es zur Gewalttat.
Zwei Wochen vor Weihnachten, Dezember 1949: Vielleicht saß Berno Henjes in einem Café. Vielleicht las er Zeitung bei Muttern daheim. Vielleicht lag die "Berliner Palette" in der Kantine des Meininger Theaters. Berno ist im Hause Eleve beim Ballett. Auch in anderen Stücken hat er dort bereits auf der Bühne gestanden. Im letzten Schuljahr war jemand in seine Klasse gekommen und hatte die Kinder vom Theater begeistert. Berno ist stimmbegabt und hat sich für die Aufführung des "Wildschütz" gemeldet.
"In der Folgezeit habe ich dann weiter als Tanzeleve im Meininger Landestheater mitgespielt. Später wurde dann in Meiningen eine Ballettschule gegründet, und nur Schüler dieser Schule wurden für die Aufführungen im Theater herangezogen. Für diese Schule musste ich ein monatliches Schulgeld von DM 20, -aufbringen. Ich habe für andere Leute Holz gehackt, Wege besorgt usw. , nur um mir dieses Schulgeld zu erarbeiten. Ich wollte Schauspieler werden. Ich habe nie einen Tag Berufsschule besucht, man hat mich auch nie dazu angehalten. Ich weiß nicht, wieso ich darum gekommen bin."
Am Theater fühlt sich der Junge aufgehoben, akzeptiert. Auch fühlt er sich erwachsen, eine ältere Balletteuse zeigte dem Eleven die Liebe. Die Mutter kann ihren "Großen" finanziell nicht unterstützen. Vier Kinder hat sie zu ernähren. Seit zehn Jahren lebt sie in Meiningen. Seit zehn Jahren ist Bernos Vater vermisst. Auch ihr zweiter Ehemann blieb im Krieg. Die Familie lebt von der Wohlfahrt. Mit Stricken verdient die Mutter ein wenig hinzu. Berno hat fünf Jahre die Schule besucht, für seine Familie ist er jederzeit da. Er liebt die Mutter, die Geschwister. Aber eines war sich Berno gewiss: Nirgendwo anders als auf einer Bühne möchte er arbeiten. Für diesen Traum tut er alles.
Die "Berliner Palette" war 1949 eines der wenigen Kulturblätter Deutschlands. Redaktionssitz: Ostberlin, Unter den Linden 54. Die Illustrierte berichtete nicht nur über Kunst in Berlin. Die "Palette" schreibt über neue Kinofilme, über Margot Hielscher, Bruni Löbel, Karl Schönböck als "feschen Paul". Die DEFA kündigt die Dreharbeiten zu "Bürgermeister Anna" an. Drehbuchautor: Friedrich Wolf. Ein neues Varieté-Programm wurde im "Haus Vaterland" probiert, die "Neue Scala" bringt Artistik. [...]
Vielleicht blättert Henjes weiter, liest Heiratsanzeigen: 32jährige von Künstler geschieden. Wassersportler, geistig lebhaft, kriegsbeschädigt. Männer und Frauen suchen Gedankenaustausch und Briefwechsel. Kauf und Verkauf. Fernkurs in doppelter Buchführung und Bilanztechnik nach den Grundsätzen der Neuzeit. Berno Henjes liest: Stellenangebote. Berno ist 17 und hofft, dass ihn dies eine in seiner beruflichen Laufbahn schneller voran bringen wird:
"Junger Artist sucht dringend Partner (16 bis 23 Jahre) für gute Nummer. (Stepptanz und Balance-Akt), evtl. auch Anfänger. Interessenten persönlich oder schriftlich mit Bild, Größen -und Gewichtsangabe an Roiko Naubitz, Dresden A40, Windbergstr. 30."
Berno wird sich die Adresse notieren. Er wird Herrn Naubitz in Dresden schreiben. Herr Naubitz antwortet sofort mit einem Telegramm:
"Engagiere Sie als Partner - 14 Tage Probezeit - Wohnung und Kost frei - erwarte Sie Sonnabend 21. in Berlin - Roiko Naubitz."
Berno fährt nach Berlin.
[...]
Informationen im Internet:
Wikipedia-Artikel über das Theater an der Parkaue in Berlin-Lichtenberg (vormals Haus der Kinder)
Hörprobe (6:14) "Kollegen: Der Fall Henjes" aus der Reihe "Mordsarbeit" Laden des Audioplayers ...
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Credits
Henner Kotte, Jahrgang 1963, ist ein in Leipzig lebender und arbeitender Autor, Redakteur, Moderator, Regisseur, Theaterkritiker und Stadtführer. Er ist vor allem für seine in Leipzig spielenden Kriminalromane bekannt geworden.
Christian Lunzer wurde 1943 geboren und lebt als Buchhändler und Verleger in Wien. Er war Lehrbeauftrager für Publizistik an der Donau-Universität Krems und hat sich auch als Sachbuchautor einen Namen gemacht.
Claus Vester, 1963 in Düsseldorf geboren, sammelte bereits während seines Studiums erste Erfahrungen in der freien Münchner Theaterszene und bei einem Tourneetheater. Neben seiner Arbeit als Hörbuch-Regisseur steht er seit einigen Jahren auch als Sprecher zahlreicher Hörbuch-Produktionen vor dem Mikrofon.
Mordsarbeit
Henner Kotte, Christian Lunzer, Claus Vester (Spr.)Wenn Kollegen Mörder werden...
4 CDs, ungekürzte Lesung, ca. 274 Min.
2012, cc-live
19,95 €
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